Aufgabe nicht erfüllt, nicht nach Hause gekommen - trotzdem einer der schönsten Flüge
Aber fangen wir von vorne an. Da meine berufliche Tätigkeit Streckenflüge nur an Wochenenden oder Feiertagen zulässt, beobachte ich während der Saison in der Wochenmitte das Wetter fürs Wochenende. Öffnet sich eine Chance, werde ich bereits mittwochs aktiv und überlege mir eine grobe Strecke, die dann bis unmittelbar vor dem Flugtag entweder nachjustiert oder verworfen wird.
So geschah es auch am 21. Juli. Für Samstag den 24. Juli war grundsätzlich gutes Wetter zu erwarten, jedoch mit sehr starkem Westwind, der sich im Tagesverlauf abschwächt; vom äußersten Süden her sollte eine Front spätnachmittags Richtung Norden ziehen. Insgesamt nicht optimal aber schien sehr interessant und reizvoll zu werden. Ich plante den ersten Schenkel mit Wind nach Osten zu fliegen, dann Richtung Südschwarzwald und wieder nach Hause. Die Planungssoftware Seeyou und Weglide zeigten eine Distanz von 905 km an – da musste ich erstmal schlucken. Viel kleiner ging die Strecke nicht, da ich ansonsten nicht um Nürnberg und Stuttgart herumgekommen wäre und außerdem in thermisch nicht optimalen Gebieten hätte fliegen müssen.
Am Donnerstag änderte sich nichts Wesentliches nur die Front die von Süden vorhergesagt war scheint etwas schneller voranzukommen. Ich halte an meinem Plan fest und fixe die Wendepunkte Tirschenreuth und Hütten im Hotzenwald. Die Lufträume und Beschränkungsgebiete, die auf dem Flugweg lagen, wurden geprüft und erlaubten diese Strecke. Es ist klar, dass ich nach Tirschenreuth des Öfteren mit Langen zu tun haben würde, da hinter Nürnberg einige Beschränkungsgebiete liegen.
Am Freitag waren wettertechnisch keine Wetterveränderungen zu erwarten. Es konnte also losgehen. Den Flug meldete ich bei Weglide an. Flüge ins Blaue oder Jojos sind nichts für mich. Es rührt vielleicht von meinen ersten Streckenflugversuchen her, dass ich gewohnt bin Flüge vorher festzulegen. Planen und fliegen, oder sein lassen. Im Vorfeld: Ich beschäftige mich sehr intensiv und ausgiebig mit TopMeteo – Flugdistanz, Wind, Wolkenverteilung, Thermikarte, Sonneneinstrahlung, Niederschlagswahrscheinlichkeiten, Wetterkarte, das alles ausgewertet auf die jeweiligen Flugstunden im Tagesverlauf. Das Zeitfenster für den Flug ist gefixt. Es steht fest: Der optimale Startzeitpunkt: 10.00 Uhr, 1. Wende 12.00 Uhr in Tirschenreuth. Hotzenwald 16.00-17.00 Uhr. Thermikende so gegen 19.00 – 19.30 Uhr.
Meine Checkliste, die ich mir über die Jahre erarbeitet und weiterentwickelt habe, und die mittlerweile eine DIN A4 Seite umfasst, kommt zum Einsatz. Hier steht alles, was ich für einen Überlandflug benötige: Wetterplanung, Batterie, Technik, Wasserballast, Luftraum, Karten, Navigation, Dokumente, Rückholer, Schlepper, Verpflegung, Ausrüstung etc. Diese Liste hilft mir, gegen das Vergessen anzukommen und gibt mir absolute Sicherheit, an alles gedacht zu haben. Ich kann mich dann voll aufs Fliegen konzentrieren und den Flug maximal genießen. Es sind somit viele Störfaktoren im Vorfeld ausgeschlossen.
Am Freitagabend war die Checkliste, was ich am Vortrag erledigen und vorbereiten konnte, erledigt. Der Rest kommt dann am Flugtag. Am Samstag, gut ausgeschlafen und befrühstückt, bin ich alleine um 7.00 Uhr am Platz. Ich genieße diese Ruhe und räume die Halle aus – ja das geht auch alleine. Nachdem KASPR, KNER, KA8 und LS8 ausgeräumt oder beiseite geschoben sind schiebe ich die ASG 29 zum Tanken – was für ein schönes Flugzeug. 120 Liter werde ich tanken. Flächenbelastung: knapp 50 Kg/m² - ordentlich. Kurz darauf kommt meine Tochter am Flugplatz an. Wir räumen die Maschine ein und bringen diese zum Start. Um 09.30 Uhr bin ich startbereit. Bis dahin bin ich seit gestern einige Male den Flug in unterschiedlichen Szenarien durchgegangen. Das Bild am Ende ist immer das gleiche: Ich sitze nach erfüllter Aufgabe vor dem Clubheim in Obernau und habe ein kühles Hefeweizen vor mir stehen.
Michael Fabos hat sich für 10.00 Uhr zum Schleppen angekündigt, es wird etwas später. Der Wind beträgt zu diesem Zeitpunkt ca. 20 – 25 km/h aus West. Optimal für den MOSE-F-Schlepp. Ich entscheide mich für die handbuchskonforme Kurzstartvariante. Hier wird früh abgehoben, um dann in Bodennähe Fahrt aufzunehmen. Michael nimmt nach dem Abheben in Bodennähe rasch Geschwindigkeit auf, um dann im letzten Viertel der Bahn mit ordentlich Speed in den Steigflug über zu gehen. Ein Klasse Schlepp! Um 10.20 Uhr bin ich in der Luft. Basis 1.000 m; Wind 35 Km/h – viel zu tief um über den Spessart zu fliegen, besonders bei diesem Wind und der entsprechend zerrissenen Thermik. Ich warte noch mit dem Abflug und finde dann nach ca. 20 Minuten eine sichere Strecke über Altfeld Richtung Osten. Die Basis ist noch niedrig. Richtig kurbeln macht keinen Sinn, ich nehme immer mal 100 – 200 m Höhe mit und fliege dann weiter. Bei diesem Wind mit ca 12 – 14 m/s wird man pro Kreis ca. 400 – 500 Meter versetzt! Es läuft. 45 km/h Rückenwind. Ground Speed: teilweise > 200 km/h. Unglaublich mit welcher Leichtigkeit die ASG mit 120 Liter Wasser in den Flächen nach vorne stürmt – kaum Höhenverlust! Schweinfurt, Haßfurt, Bamberg und Bayreuth ziehen schnell an mir vorbei. Basis: Mittlerweile 1.500 Meter. Es ist absolut Ruhe im Funk. Weit und breit ist kein Flugzeug zu sehen. Um 12.30 Uhr bin ich in Tirschenreuth, 30 min. später als geplant, aber bedingt der Umstände o.k. Die ersten 240 km sind geflogen. Nun steht der lange Schenkel mit einer Strecke von 405 km bevor, Kurs 230°. Wind genau von vorne, aber mittlerweile nur noch 25 – 30 km/h – er schwächt tatsächlich langsam ab.
Ich habe wie erwartet ziemlich oft mit Langen zu tun, um zu prüfen welche Beschränkungsgebiete aktiv sind. Grafenwöhr ist aktiv der Rest inaktive. Der Flug läuft über Weiden, Amberg und Günzburg Richtung Nördlingen problemlos. Mittlerweile sind vereinzelt doch Flugzeuge zu sehen. Nördlingen um fliege ich nördlich, ist ja bekanntlich thermisch doofes Gebiet. Im Ries sind keine Wolken zusehen, wie abgesaugt. In der Ferne sehe ich die Kühltürme bei Ulm. Es ist scheint so, dass die Front von Süden deutlich schneller zu ziehen scheint als erwartet. Ich fliege weiter auf Kurs. An den östliche Ausläufern der Alb ist zu erkennen, dass ein möglicher Flugweg Richtung Südschwarzwald nicht möglich ist. Nach Norden hin scheint es besser zu sein, was allerdings durch den Luftraum um Stuttgart verhindert wird. Ich überlege eine Weile und entschließe mich dazu bei Bopfingen die Aufgabe nach ca. 210 Kilometer des 2. Schenkels abzubrechen. Es ist ca. 15.00 Uhr. Ich fliege nach Norden um dann nördlich von Stuttgart Richtung Westen zu fliegen und von dort aus die Rheinebene nach Norden zu fliegen. Die Wolken ziehen zunehmend deutlich schlechter und unzuverlässiger. Ich fliege an der Wind- und Sonnenseite der Wolken entlang und gleite Richtung Schwäbisch Hall. Hier sollte mal wieder ein Aufwind kommen. Nix. Ich fliege dann eine weitere Wolke Richtung Westen an. Ups: Ruhe, leichtes Steigen von 0,5 – 1 m/s im Geradeausflug, konstant keine Turbulenz, garnichts. Ausgerechnet an der Lee- und Schattenseite einer Wolke, genau dort wo eigentlich gar kein Aufwind sein kann. Das Steigen wird schwächer ich kehre um, um herauszufinden ob das Steigen beim Zurückfliegen immer noch da ist. Gleiches Bild. Das Steigen bleibt konstant. Den Flugweg korrigiere ich ein wenig nach Südost. Gleiches Spiel zurück. Ich achtere und steige kontinuierlich weiter. Eine Welle! 1.800 Meter, 2000 Meter, 2.250 Meter, 2.500 Meter!
Der Aufwind ist nicht besonders stark aber kraftvoll genug, um mich zu beindrucken und zu begeistern. Was für ein Erlebnis, welche Aussicht. Es ist ein Moment, den man festhalten möchte. Wind: mittlerweile 50 km/h. – absolute Ruhe. Ich beobachte sehr genau den Luftraum – weit und breit nichts zu sehen – dennoch bleibe ich wachsam und höre die Info-Frequenz von Langen mit. Ein einziges Instrument in der ASG ist mir fremd: Der Transponder. Dies verbietet mir mit Langen den Einflug in den Luftraum C zu diskutieren. Bei dieser Windlage halte ich eine Freigabe für ohnehin unwahrscheinlich, und ohne Sauerstoffgeräte wäre nur ein kurzer Dip von 30 min über 3.000 Meter hinaus zu verantworten. Bei 2.750 Meter MSL verlasse ich die Welle und fliege Richtung Nord-West. Den Flugweg lege ich entsprechend der Wolkenverteilung, die mittlerweile unter mir sind, sodass ich immer Erdsicht habe.
Nach der Welle ging es dann auch schneller als erwartet wieder bis zur Basishöhe abwärts. Fallen: 4 – 5 m/s. Unterhalb der Basis suche ich nach einer Route Richtung Westen in die Rheinebene Höhe Karlsruhe. Die Front zieht allerdings sehr schnell Richtung Norden und befindet sich bereits über Stuttgart. Das Wetter sieht nun nicht mehr so dolle aus. Ich entscheide, Richtung Heimat zu fliegen, vielleicht gibt es ja weiter nördlich noch eine Option Richtung Westen. Leider nein. Der Flug war bislang einfach zu schön, um jetzt noch ein unnötiges Außenlanderisiko einzugehen, zumal die Aufgabe ohnehin nicht erfüllt wurde. Das Wetter wird spürbar schlechter. Bis nach Hause reichts noch nicht ganz. Ich fliege Richtung Walldürn. Nix. Ankunftshöhe: 200 Meter bis Walldürn. Ich kurbele mit 0,2 – 0,5 m/s, zu schwach für den Wind, der mittlerweile auf 20 km/ h zurückgekommen ist. Wasser raus. Etwas höher und nach Osten hin versetzt fliege ich Richtung Altfeld. 1 Meter Steigen aber nicht konstant. Vor Altfeld sind leichte aufbauende Zeichnungen zu erkennen, die aber rasch wieder abtrocknen. Ich fliege dort hin. X-Mal versuche ich von dort aus mit 0,5 Meter den Absprung nach Obernau zu schaffen. Hangkanten, Windseite, Sonnenseite von Hang und Waldkanten. Nix! Das geht gefühlt eine Stunde so. Hier ist nach so einem Flug Kondition und Willenskraft gefragt. Die Flugzeit beträgt bis dahin etwa 8,5 Stunden. In solchen Situationen konzentriere ich mich ausschließlich aufs Kurbeln, und nicht aufs landen; Altfeld ist ja sicher. Immer wieder: Fahrt, Horizont, Faden. Nutzt nix mit 900 m fliege ich nicht bei immer noch deutlichen Gegenwind über den Spessart. Da auch die gefühlt unzähligen Versuche nichts bringen entschließe ich mich, in Altfeld zu landen. Es scheint niemand da zu sein. Halle zu, keine Flugzeuge, niemand am Funk, keiner zu sehen. Ich lande und rolle auf dem Asphaltstreifen bis ans östliche Platzende. In Altfeld war gähnende Leere.
Ich rief in Obernau an. Auch dort war die Mannschaft sehr ausgedünnt. Michale Bitzer kam dankenswerter Weise noch einmal auf den Flugplatz und holte mich mit dem Kasper in Altfeld ab. Zum Flächenhalten traf dann noch glücklicherweise ein Mitglied aus Altfeld ein, der meine zähen Versuche, mich von Altfeld zu lösen, wohl von zu Hause aus und online verfolgt hatte.
Wieder ein Problemloser Schlepp. Wir starteten bei mittlerweile bei nur noch leichtem Rückenwind auf der abfallenden Asphaltbahn Richtung Osten. Ein wunderschöner Schlepp und eine entspannte Landung zu Hause in Obernau.
Trotz verfehlter Aufgabe und Außenlandung in Altfeld geht ein unbeschreiblich schöner und sehr eindrucksvoller Flug, der nach knapp 9 Std. Flugzeit, mit einem phantastischem Flugzeug zu Ende geht. Jede Minute in der ASG 29 ist ein unbeschreiblicher Genuss! Gut, dass ich diesen Flug gemacht habe. Ich bin dankbar für dieses tolle Erlebnis, bei dem ich wieder viel gelernt habe.
Um 21.00 Uhr sitze ich dann vor dem Clubheim in Obernau, vor mir ein kühles Hefeweizen. Es war zwar nach nicht geschaffter Aufgabe unverdient, aber ich gönnte es mir, denn ich war unglaublich durstig – und ein bisschen Schummeln ist auch mal drin 😉.
Vielen Dank an die beiden Schlepppiloten Michael Fabos und Michael Bitzer, an Marvin Gruber der sich als Rückholer zur Verfügung stellte und an meine Tochter Eva, die sich beim Start in Obernau an den sehr schweren Flächen mühte.
Hier gehts übrigens zum Flug (hochgeladen auf der Online-Plattform WeGlide): 615 km / Frederik Kunz / Altenbachtal 31.07.2021 (weglide.org)
Andere Streckenflüge der letzten Zeit von unseren Vereinsmitgliedern sind auf der folgenden Seite zu finden: Streckenflug
Autor und Pilot: Frederik Kunz
Comments